Glocken
Start : Bauwerk : Baugeschehen

Welterbemaßnahmen an der Kulturkirche St. Jakobi in Stralsund

Abb. 1 Festschrift Der vergessene Raum, Umschlagvorderseite, Stralsund 2003

Die im Jahr 2003 erschienene Broschüre zum 700. Jubiläum der Stralsunder Jakobikirche trug noch den Untertitel „Der vergessene Raum“. Diese Bezeichnung mag damals zutreffend gewesen sein - inzwischen ist sie es längst nicht mehr. Die Kulturkirche St. Jakobi ist heute im Bewusstsein der Stralsunder fest verankert und lockt ganzjährig mit kulturellen Veranstaltungen. Betreiber ist eine kirchliche Einrichtung, das Kreisdiakonische Werk Stralsund e. V.

Ein Rückblick in Stichpunkten

  • Die drittgrößte der Stralsunder Pfarrkirchen wurde am 1944 durch Bombentreffer beschädigt, mit Verlust einiger Seitenschiffgewölbe, aber bis 1953 im Wesentlichen wieder hergestellt und weiter baulich gesichert. Bis 1955 erfolgte der Einbau des Gustav-Adolf-Saals als Gemeindesaal in einer neu geschaffenen Ebene im Turmbereich. Der Turm wurde zu DDR-Zeiten intensiv von der kirchlichen Jugendarbeit ("Junge Gemeinde") genutzt, die Evangelische Kirchengemeinde St. Jakobi-Heilgeist nutzte aber später im Wesentlichen nur noch ihre zweite Kirche, die Heilgeistkirche.
  • Die Nutzung des Bauwerks als kirchlicher Bauhof bis 1990 - bis 1994 durch eine daraus entstandene Baufirma - gewährleistete zumindest den Bestand.
  • Durch Initiative der Kirchengemeinde und des 1995 gegründeten Fördervereins gelang es, die Kirche wieder zu öffnen und eine ständige Nutzung als Kulturkirche vorzubereiten.
  • Seit 1991 wurde in vielen Bauabschnitten die Kirche im Äußeren instandgesetzt und vieles zur Rettung des umfangreich erhaltenen, aber desolaten Kunstgutes getan.
  • 2003 errichteten Kirchengemeinde und Hansestadt Stralsund die "Stiftung Kulturkirche St. Jakobi Stralsund", in deren Besitz sich Kirche, Grundstück und Inventar heute befinden.
  • Abb.2 Längsschnitt durch Turmbereich und Kirchenraum, mit Lage Gustav-Adolf-Saal und Mehmel-OrgelBis 2007 wurde der Gustav-Adolf-Saal zur Studiobühne des Theaters ausgebaut, mit Instandsetzung der gesamten Turmanlage einschließlich Treppenhaus (Bauherr: Hansestadt Stralsund, nach Fertigstellung Übergabe an die Stiftung Kulturkirche)

Investitionsprogramm "Welterbe erhalten & Zukunft gestalten" (2009—2013)

Im Sommer Jahr 2009 bot sich überraschend und sehr kurzfristig die Chance, über eine Förderung aus Welterbemitteln (Investitionsprogramm "Welterbe erhalten & Zukunft gestalten") die Sanierung des Kirchenraums in Angriff zu nehmen.

Die Welterbemaßnahme musste sehr kurzfristig vorbereitet werden. In deren Rahmen wurden für dieses Projekt zunächst etwa 1,6 Millionen Euro über einen Zeitraum von vier Jahren zur Verfügung gestellt, aus Mitteln der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Mecklenburg-Vorpommern und der Hansestadt Stralsund, sowie, als Eigenmitteln, Spenden der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Diese Mittel wurden schließlich noch um etwa 200.000 Euro aufgestockt, auch durch weitere Förderer.

Die Maßnahmen teilten sich auf in Maßnahmen zur Haustechnik, Bau- und Restaurierungsleistungen an der Kirche und am Hochaltar sowie Sonderleistungen. Unter anderem wurden folgende Punkte realisiert:

1) Haustechnik (im Wesentlichen Turmbereich)

  • Nutzbarmachung freier Erdsonden zur Erdwärmegewinnung (bereits 2007 verlegt und zunächst für die Temperierung des Kirchenraums vorgesehen). Diese stehen nun ebenfalls für die Heizung bzw. Lüftung des Gustav-Adolf-Saals zur Verfügung. Die vorhandene Haustechnik und ihre Regelung konnte dafür angepasst werden. Bereits im ersten Jahr wurde der Gasverbrauch entscheidend reduziert.
  • Anpassung der Küchenabluft an den Bedarf durch Ergänzung bereits vorgerüsteter Anlagenteile
  • Verlegung der zuvor teils im Raum geführten Leitungen im Fußboden

2) Bau- und Restaurierungsleistungen

  • Abb. 3 Gewölbe vor Beginn der Maßnahmen (19.04.2010)Sanierung der Wandflächen und Gewölbe. Diese waren durchweg von Rissen durchzogen und in zum Teil desolatem Zustand. Die umfangreich vorhandenen historischen Farbpakete wurden dabei gesichert
  • Abnahme schädlicher Zementschlämmen (1950-er Jahre) von den Oberflächen
  • Reinigung sämtlicher Oberflächen von Staub - hier großer Dank an die Praktikanten und Mitarbeiter der Jugendbauhütte Stralsund / Szczecin für ihren unermüdlichen Einsatz
  • Abb. 4 Südl. Seitenschiff, Fugensanierung ... (05.04.2011) Abb. 5 ... und nach Auftrag der Schlämme (11.04.2011)Abdeckung sichtbarer Ziegelflächen durch Putz oder Schlämme. mit Anbindung an die umgebenden Flächen
  • Konservierung vorhandener Holz-, Metall- und Betonzuganker sowie deren Einbindepunkte im Mauerwerk
  • Abb. 6  Unterschiedliche Ankertypen (04.04.2011)
  • Einbau neuer Anker
  • Abb. 7 Sanierung eines Bogens (28.02.2011)Sanierung abgängiger Mauerbereiche im Bereich von Rissen
  • Abb. 8 Neuer Chorfußboden und Altarsockel, neues Altarpodest (18.05.2013)Herstellung eines neuen Fußbodens im Altarbereich aus schwarzem Kalkstein (Tournai) und weißem Marmor (Carrara) unter Wiederverwendung des Bestandes; Ergänzung des Sockelprofils am Altaraufbau, Herstellung eines hölzernen Altarpodestes und Wiederaufstellung des hölzernen Altartisches am historischen Ort
  • Abb. 9 Apostelzyklus vor Arbeitsbeginn ... (26.04.2012). Abb. 10 ... und nach Abschluss (08.08.2012)Konservierung und Restaurierung eines bereits zuvor teilweise sichtbaren Apostelzyklus in einem Arkadenbogen (zehn Figuren, von denen die oberen sechs schon vorher sichtbar waren und die vier unteren neu freigelegt wurden) ermöglicht durch die finanzielle Zuwendung der Ursel Grohn-Schönrock Stiftung
  • Feierliche Wiederbestattung von bei den verschiedenen Arbeiten aufgefundenen Gebeinen in einer sanierten Gruft im Nordosten des Bauwerks

Kurze Chronologie der Bau- und Restaurierungsleistungen seit 2009

Investitionsprogramm "Welterbe erhalten & Zukunft gestalten" (2009—2013)

  • November 2009 Beginn der Arbeiten im Chor
  • Frühjahr 2010 neuer Fußboden im Chor
  • Frühjahr 2010 bis Frühjahr 2011 provisorische Abtrennung des Chores
  • Frühjahr 2010 bis Frühjahr 2011 Sanierung der Wand- und Gewölbeflächen im Chor
  • bis Frühjahr 2011 Sanierung nordöstliches Seitenschiff
  • November 2011 Einrüstung Orgelbereich und nordwestliches Seitenschiff. Fertigstellung bis Frühjahr 2012.
  • Frühjahr 2012 Einrüstung südliches Seitenschiff. Fertigstellung der Arbeiten bis Herbst 2012.
  • Restaurierungsarbeiten an einem Arkadenbogen (Wandmalereien Apostelzyklus)
  • Abb. 11 Instandgesetzte Westjoche (18.05.2013)November 2012 Aufstockung der Förderung, dadurch Sanierung auch des zweiten Mittelschiffsjochs von Westen möglich. Abschluss der Maßnahme im Mai 2013.

Weitere Bau- und Restaurierungsleistungen (2014—2020):

  • 2014—15: „4. Bauphase“ Instandsetzung der Obergaden-Wandbereiche und der Gewölbe der drei mittleren Joche im Mittelschiff sowie abschließende Restaurierung der Oberflächen
  • 2015—16: „5. Bauphase“ Abschließende Restaurierung der Oberflächen Obergaden-Wandbereiche und der Gewölbe der zwei westlichen Joche und der zwei östlichen Gewölbejochen im Mittelschiff
  • 2015—17: „Bauliche Sanierung und Restaurierung“: Neuer Fußboden, Fußbodentemperierung, Sockeltemperierung und Temperierung in Triforiumshöhe, neue Windfänge, Beleuchtung usw.; Optimierung der Haustechnik entsprechend den bisherigen Erkenntnissen mit der Betreibung, dadurch Einsparungen bei den Betriebskosten.
  • 2017—20: Jakobi-Orgel: Restaurierung des Gehäuses; Neubau des Spielwerks mit Integrierung historischer Teile

Auch die Haustechnik konnte, entsprechend den bisherigen Erkenntnissen mit der Betreibung, optimiert werden, was künftig zu Einsparungen bei den Betriebskosten führen sollte.

Abb. 12  Ausstellung Die Rote Couch, Aufnahmen von Horst Wackerbarth, Langhaus nach Westen (09.09.2012)Inzwischen gibt es sehr konkrete Initiativen zur Wiedergewinnung der Mehmel-Orgel. Derzeit laufen Bemühungen um die (großteils noch offene Finanzierung) dieser Maßnahme. Als erster Abschnitt soll 2016 eine erweiterte Musterachse am Orgelgehäuse realisiert werden.

Historische Ausstattung / Kunstgut (2015 / 2016):

Restaurierung historischer Ausstattungsstücke durch zwei Diplomandinnen der Hochschule für Bildende Künste Dresden; Präsentation im Kirchenraum:

  • Das Epitaph Horn: Gemälde Verklärung Christi (nach Raffael)
  • Paneel einer gotischen Kapellenschauwand
    Diese Vorhaben werden von der Marlis Kressner Stiftung unterstützt.

Es bleibt spannend in der Kulturkirche St. Jakobi.

Gerd Meyerhoff, Stiftung Kulturkirche St. Jakobi Stralsund, 5.3.2020

Gefördert durch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz

Bildnachweis:
Abb. 2: Gerd Meyerhoff, Stralsund, auf der Grundlage auf der Grundlage des Aufmaßes der Messbildstelle GmbH Dresden
Abb. 12: Matthias Reikowski, Stralsund
Alles Übrige: Gerd Meyerhoff, Stralsund


Glocken